Geschichte, die begeistert: Thomas Lindenberger und das LKA Sachsen
Autor: Prof. Dr. Mike Schmeitzner
In der Sonderreihe „Mehr als Eigensinn – Das Schaffen von Thomas Lindenberger“ werden zu Ehren Thomas Lindenbergers, der zum 1. Oktober 2024 in den Ruhestand eintrat, Texte seiner Weggefährtinnen und Weggefährten publiziert. Mit diesen Beiträgen werden persönliche Erinnerungen an und mit Thomas Lindenberger freigelegt und damit ein Einblick in sein umfassendes und vielfältiges Schaffen gegeben. Bis zum Ende des Jahres wird immer donnerstags ein neuer Beitrag auf dem Blog veröffentlicht.
In seinem Beitrag beschreibt Mike Schmeitzner die Entstehung eines Polizeiprojektes am HAIT, zu dem Thomas Lindenberger wichtige Anstöße gab und so ganz „nebenbei“ neue Kooperationen „einfädelte“.

„Den kennen Sie doch, oder?“ Es war der 13. November 2020, als mir Thomas Lindenberger eine E-Mail zeigte, die von Carsten Schreiber stammte. Darin hatte Schreiber unter der Betreffzeile „100 Jahre Landeskriminalamt Sachsen“ angefragt, ob wir – das HAIT – denn schon „eventuelle Studien/Veröffentlichungen/Tagungen“ in Planung hätten. Schließlich sei das 1923 gegründete Landeskriminalamt (LKA) Sachsen „vorbildlich für ganz Deutschland“ gewesen. Natürlich kannte ich unseren Historikerkollegen Carsten Schreiber gut. Er hatte vor einigen Jahren mit einer Arbeit über den sächsischen Sicherheitsdienst der Schutzstaffel (SS) promoviert und trotz seines Weggangs in die freie Wirtschaft auch an wissenschaftlichen Projekten weiter gearbeitet. Ich machte Lindenberger mit der Expertise unseres Kollegen rasch vertraut, was seine grundsätzliche Bereitschaft, sich des Themas anzunehmen, nur verstärkte. Polizeigeschichte und dann noch die Geschichte des LKA Sachsen als erster Institution in Deutschland, das elektrisierte den Direktor, der sich ja bekanntermaßen seit Jahrzehnten für die Polizeigeschichte begeisterte: Schon in seiner Promotion über Berliner „Straßenpolitik“ im späten Kaiserreich hatte die Arbeit der Polizei eine gewichtige Rolle gespielt und in seiner Habilitation stand die Polizei, genauer: die Volkspolizei in der DDR 1952 bis 1968, im Mittelpunkt.
Kurz entschlossen nahmen wir Schreibers Angebot an, zumal er den wesentlichen Baustein selbst bearbeiten wollte. Im Gespräch mit dem Direktor wurde vereinbart, die Hochschule der sächsischen Polizei mit dem dortigen Lehrstuhlinhaber Tom Thieme ebenso mit ins Boot zu holen wie das neu gegründete „Forum Polizei_Geschichte Sachsen“ mit Korinna Lorz und Sven Fischer. Thomas Lindenberger aktivierte zudem seinerseits alte Kontakte zu Polizeihistorikern wie Herbert Reinke und bald schon kristallisierten sich erste Konturen eines Projekts heraus: Die Geschichte des LKA Sachsen wollten wir als Transformationsgeschichte – über die Zäsuren von 1918/1923, 1933, 1945 und 1989 hinweg – erzählen. Den thematischen Fokus richteten wir auf das Personal, dessen Rekrutierung, (politische) Sozialisation und (eventuelle) Säuberung, auf das Institutionengefüge, die technische Modernisierung, die Verbrechensbekämpfung und nicht zuletzt auf die Rolle des LKA bei der Durchsetzung von zwei sehr unterschiedlichen Diktaturen.
Thomas Lindenberger scheute damals weder Zeit noch Mühe, sich selbst intensiv zu engagieren, das Projekt zu präzisieren, Vernetzungstreffen mit zu leiten und das HAIT mit seinen Ressourcen in die Pflicht zu nehmen. Ein erster weithin sichtbarer Höhepunkt war die eintägige Konferenz am 16. September 2022 im Kinosaal der Stasi-Gedenkstätte in der Bautzner Straße in Dresden, wo – noch unter Corona-Bedingungen – alle späteren Beiträgerinnen und Beiträger erste Impulse lieferten. Im Saal waren – und das war für uns ein Novum – vielleicht 60 interessierte Personen aus den Reihen der Polizei und des LKA, an der Spitze die LKA-Präsidentin, Sonja Penzel. Der Höhepunkt des Tages war die von Thomas Lindenberger höchstpersönlich geleitete Podiumsrunde, die er souverän und charmant zu dirigieren wusste: Mit dabei waren unter anderem der frühere Innenminister Heinz Eggert, der Bürgerrechtler Frank Richter und die Forumsleiterin Korinna Lorz. Für alle im Saal war klar: Das HAIT kann auch so etwas stemmen!
Jetzt – zwei Jahre später – liegt das Ergebnis vor: Kurz vor Weihnachten wird ein Band im Nomos-Verlag erscheinen, der die „Transformationen einer Polizei“ anhand des LKA Sachsen im 20. Jahrhundert auf beinahe 500 Seiten analysiert. Dass es dazu kam, ist ganz wesentlich das Verdienst von Thomas Lindenberger. Er hätte die E-Mail vom 13. November 2020 auch einfach „ignorieren“ können. Das hätte Carsten Schreiber vielleicht zu verschmerzen gewusst und mir etwas weniger Arbeit aufgebürdet. Vom Ergebnis her betrachtet wäre das jedoch der definitiv schlechtere Weg gewesen. Ergo: Es ist immer gut, wenn es Direktorinnen und Direktoren gibt, die ihre wissenschaftliche Leidenschaft für bestimmte Spezialgebiete in äußerst produktive Bahnen lenken können. Und das ist etwas, was Thomas Lindenberger am HAIT mehr als gelungen ist.
Zitiervorschlag: Mike Schmeitzner, „Geschichte, die begeistert: Thomas Lindenberger und das LKA Sachsen”. In: Denken ohne Geländer. Der Blog des Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. vom 09.01.2025: https://haitblog.hypotheses.org/6548.
Beitragsbild:
Bild 1: Thomas Lindenberger und Heinz Eggert bei der Tagung “Transformationen der Polizei. Hundert Jahre Landeskriminalamt Sachsen” @ Gedenkstätte Bautzner Straße am 16. September 2022 by HAIT
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
haitblog (19. Dezember 2024). Geschichte, die begeistert: Thomas Lindenberger und das LKA Sachsen. Denken ohne Geländer. Abgerufen am 14. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/12yob