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Alles zum Fenster rausgeschmissen? Die Überbleibsel des VEB Pentacon Dresden

Autorin: Sophia Sidiropoulou-Fritz

Die Reihe „‘Blende zu bei Pentacon‘: Alltag und Wende beim VEB Pentacon“ ist das Ergebnis eines geschichtswissenschaftlichen Seminars an der TU Dresden und einer Kooperation zwischen dem HAIT und den Technischen Sammlungen Dresden zur Geschichte des Dresdener Kameraproduzenten VEB Pentacon. In kurzen, experimentellen Forschungsarbeiten widmen sich Studierende und WissenschaftlerInnen der Untersuchung von Alltagserfahrungen im Betrieb vor 1989 sowie den multiplen Folgen der Betriebsabwicklung. Im folgenden Beitrag widmet Sophia Sidiropoulou-Fritz sich über dem Verlust materieller und immaterieller Güter im Zuge der Liquidation des VEB Pentacon und zeigt auf, was davon bis heute erhalten geblieben ist.

„Die haben ja die ganzen Messgeräte, wo ich dran [gearbeitet habe], die Bänder, alles zum Fenster rausgeschmissen.“1 erinnert sich Ute, ehemalige Mechanikerin bei Pentacon, an den Entsorgungsprozess, der im Rahmen der Abwicklung des ehemaligen Volkseigenen Betriebes (VEB) für viele dramatisch von statten ging. Die Fotografie der Müllberge im Hof des ehemaligen Betriebes (Abb. 1), unweit des damaligen Clubhauses, zeigt eben diese drastische Entsorgungsaktion. Dinge, die zuvor in der DDR schwer zu beschaffen und somit selten und kostbar waren, verloren auf einmal ihren Wert und landeten auf dem Müll. Daraus ergibt sich die Frage, wie der Entsorgungs- und Entwertungsprozess im Rahmen der Liquidation von Pentacon eigentlich abgelaufen ist. Was ging damals in Folge der Auflösung verloren? Wo kamen welche Gegenstände hin und vor allem: Was ist heute noch von dem ehemaligen DDR-Betrieb übrig?

Die Müllberge im Hof des Betriebes VEB Pentacon Dresden

„Ganz entscheidend war ja für uns der zweite Oktober 1990, das ist ein Datum, ich glaub, das ist allen hier unheimlich eingeprägt“, erzählte die ehemalige Personalleiterin Jelena in einem Interview 2022.2 Sie nahm an diesem erinnerungswürdigen 2. Oktober an der Betriebsversammlung im Deutschen Hygiene Museum Dresden teil. Auf dieser Versammlung wurde die geplante Stilllegung von Pentacon bekanntgegeben.3 Die auslaufende Produktion sollte fortgeführt und das Personal nachhaltig abgebaut werden.4 „Es war totale Ruhe“5, beschrieb Jelena die Stimmung vor Ort, die von tiefer Enttäuschung und Resignation geprägt war.6 Kurz darauf erfolgten durch die Leitung der jeweiligen Kostenstelle Vorschläge zur Auflösung der Produktionsstellen.7 Im November wurde die Fertigung von Einzelteilen eingestellt.8 Unvollendete Aufträge sollten in der Folgezeit fertig montiert werden. Nachdem die Weiter- und Neuentwicklung gestoppt worden war, unterliefen überarbeitungsbedürftige Geräte einen Abwertungsprozess, um sie möglichst schnell verkaufen zu können. Auch vollendete Produktionen, wie die der Pentakta A200 (Abb. 2), erfuhren wegen der unklaren Absatzentwicklung eine Wertminderung.9 Danach erfassten Kurzarbeiter/-innen in den Montagen die Bestände in einer umfangreichen Inventur.10 Angefangene Fertigungsteile von Folgeaufträgen in aufgelösten Abteilungen wurden auf ihre Verwendbarkeit überprüft und entsprechend dem Ergebnis über den weiteren Nutzen zwischen Einlagerung oder Entsorgung entschieden.11

Modell Pentakta A200

Mit der Analyse und Entsorgung von „verbrauchten Stoffen, Reststoffen und Abfällen“12 wurde damals die Abfallkonditionierung-Service GmbH Mittenwalde beauftragt. Mit Pressmüllfahrzeugen wurden Mobiliar und Akten abtransportiert. Der Gedanke einer vollständigen Archivierung der Betriebsunterlagen kam aufgrund der rapiden Abwicklung des Betriebs kaum auf, wodurch ein Großteil der vorhandenen Betriebsdokumente und -vorgänge leider verloren gingen. Aber nicht nur das materielle Erbe des Betriebs ging verloren. „Das Wissen, was da verloren gegangen ist, von den einzelnen Beschäftigten, das ist wirklich schade“13, bedauert Nevenka, die einst als Konstrukteurin bei Pentacon tätig war, in einem Interview 2022.

Zur Verwertung, Entsorgung, Lagerung und zum Transport der Alltagsgegenstände und Maschinen waren Genehmigungen notwendig, die bei der Landesregierung eingeholt werden mussten.14 Jede Entsorgung, Verwertung und jeder Verkauf waren in Listen zu protokollieren, die heute zumindest teilweise im Hauptstaatsarchiv Sachsen vorliegen.15 Mit der Entsorgung beauftragte Mitarbeiter/-innen des Betriebs hielten zur Planung der Aktion wöchentliche Beratungen ab, bei denen ebenfalls besprochen wurde, wie mit dem Verkauf voraussichtlich umgegangen werden sollte. Allerdings sah man nur geringe Verkaufschancen, weshalb die Bestände bis zum Wert 0 angeboten werden sollten. Alles, was danach noch übrig war, sollte entsorgt beziehungsweise verwertet werden.16 Gegenstände, die nicht sofort verkaufbar beziehungsweise generell nicht wertvoll erschienen, wurden in zuvor ausgewählten Hallen eingelagert.

Auch wurden viele Gegenstände versteigert. Die niederländische Firma „Arnold Troostwijk GmbH & Co. KG“ startete im April 1991 mit den Vorbereitungen einer Versteigerung, die vom 19. bis 21. Juni im Festsaal der Gaststätte „Goldener Löwe“ in Freital stattfand. Auktioniert wurden Anlagen, Maschinen, Messmittel und Werkzeuge. Die Einnahmen fielen niedrig aus, etwa 30 Prozent wurden nicht verkauft, alles, was übrigblieb, wurde verschrottet. Im Juni 1991 wurde Pentacon dann vollends stillgelegt, die Restentsorgung lief aber noch bis Ende des Jahres.17

Einige Gebäude des Betriebs, wie das Objekt 25 an der Enderstraße in Dresden-Seidnitz, eine Stätte für die militärische Produktion, wurden verkauft. Das Objekt 8 in Dresden-Niedersedlitz wurde unentgeltlich John Noble übertragen, dessen Familie 1945 enteignet worden war.18 Bei den Objektübergaben wurde genaustens protokolliert, was vom Inventar überführt oder entsorgt wurde und welche sonstigen Vereinbarungen getroffen wurden. Im Fall des Objekt 8 wurde festgelegt, dass Teile des Werkes weiterbetrieben und Ausrüstungsgegenstände übernommen werden sollten. Das bedeutete jedoch nicht automatisch, dass diese auch weiter genutzt wurden. Einige Maschinen wie Bedampfungsanlagen wurden in der Folge dennoch verschrottet.19 Nutzbares Inventar, zum Teil auch Archivdokumente, wurden von den neu gegründeten Betrieben übernommen. Einige Gebäude wurden vermietet, Objekte auf der Schandauer und Blasewitzer Straße standen lange Zeit leer, bis sie schließlich abgerissen wurden.20 „Das Objekt 1 ist weggerissen, also meine Arbeitsstätten sind alle weg, als wär ich nicht da gewesen, als hätte ich nicht gearbeitet“, erzählt Maria in einem Interview 2022 berührt.21 Tatsächlich sind die meisten Gebäude nicht mehr vorhanden, einige wenige existieren noch heute: das ehemalige Ausbildungszentrum des Betriebes, in dem heute die Industrie- und Handelskammer (IHK) ansässig ist, der Pentapark, der Ernemannbau, in dem sich heute die Technischen Sammlungen Dresden (TSD) befinden, und das auf dem Gelände befindliche ehemalige Clubhaus, heute eine Tanzschule.22

Mehr als 30 Jahre nach der Liquidation des Betriebs widmen sich die heute im Ernemannbau ansässigen TSD mit wechselnden Ausstellungen der Geschichte der einst florierenden Dresdner Fotoindustrie. „Bis zum bitteren Ende“23 war der Titel einer Ausstellung über Pentacon, die im Jahr 2023 eröffnet wurde. Der eindrucksvolle Titel der Ausstellung knüpft an die noch heute hochemotionale Beschreibung der Liquidation durch die ehemalige Endjustiererin in der Montage Maria an: „Das war mein Leben, mein Berufsleben, bis zum Ende. Bis zum bitteren Ende, 30. Juni 1991.“24 In den in der Ausstellung zu sehenden Interviewauszügen berichteten ehemalige Pentaconer/-innen von dem, was ihre Arbeit im Betrieb ausmachte, welchen Stellenwert diese in ihrem Alltag hatte, wie sie die Abwicklung von Pentacon wahrgenommen haben und wie sich ihr Leben nach der Liquidation entwickelte. Die Videoaufzeichnungen der Interviews wurden auf Montagetische und Transportwägen des ehemaligen Betriebes projiziert. Teil der Ausstellung war außerdem eine Vitrine mit verschiedenen Praktica-Modellen, die ein Sammler den TSD zur Verfügung gestellt hatte.25 Das Depot des Museums wurde 2006 gegründet, zuvor waren die Gegenstände verteilt in Baracken und Lagerräumen aufbewahrt worden. Der Bestand umfasst Fototechnik und -erzeugnisse, Modelle, Möbel, Maschinen und vieles mehr. (Abb. 3). Die bei der Ausstellung gezeigten Objekte von Pentacon wurden hier ebenfalls eingelagert. Der Bestand an betrieblichen Fotografien, aus dem die Fotografie der „Müllberge“ im Hof des ehemaligen Betriebes stammt, kam zwischen 1991 und 1993 zu den TSD und ist bis heute nur zum Teil erschlossen. Die gesammelten Möbelstücke stammen zum Großteil aus Ausgründungen, wie beispielsweise. dem Werk auf der Enderstraße. Größere Übergaben erfolgten in den Jahren 2010 und 2023. Von der Versteigerung im Festsaal in Freital 1991 kam bisher nichts zu den TSD zurück.26

Verschiedene Einzelteile der PRAKTICA B-Reihe

Ob und wann weitere Objekte an die TSD zurückgegeben werden, bleibt abzuwarten. Der Abschluss der Sanierung des Ernemannbaus und der geplante Neubau eines Zentraldepots, das den heutigen Bedürfnissen der Museen in Dresden gerecht würde, könnte neue Kapazitäten und Möglichkeiten dafür schaffen, das Erbe der Dresdner Kameraindustrie und damit auch das Erbe Pentacons zu beherbergen und auszustellen.27 Das immaterielle Erbe wird regelmäßig bei sogenannten ‚Erzählcafés‘ sichtbar, die seit 2023 von den TSD und dem Hannah-Arendt- Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden gemeinsam veranstaltet werden. Bei diesen ‚Erzählcafés‘ haben ehemalige Pentaconner/-innen die Möglichkeit, sich persönlich auszutauschen. Die ‚Erzählcafés‘ sind geprägt von fröhlichen Erzählungen aber auch dem Austausch über Erfahrungen aus dem einstigen Arbeitsalltag. Das bietet den TSD die Möglichkeit, durch die Treffen mehr über die Betriebsgeschichte des VEB Pentacon zu erfahren, der die Kameraindustrie in Dresden maßgeblich geprägt hat. So können Lücken in der Betriebsgeschichte, die durch die Liquidation und die daran geknüpfte Entsorgung entstandenen sind, zumindest teilweise nach und nach geschlossen werden. Außerdem entsteht derzeit eine von den TSD eigens eingerichtete Online-Datenbank zur Kamerasammlung.28 Darüber hinaus erfreuen sich die Praktica-Modelle Beliebtheit bei Sammlern, die mit ihrer Leidenschaft dazu beitragen, dass die Erinnerung an Pentacon nicht verblasst.

Über die Autorin:

Zitiervorschlag: Sophia Sidiropoulou-Fritz, „Alles zum Fenster rausgeschmissen? Die Überbleibsel des VEB Pentacon Dresden”. In: Denken ohne Geländer. Der Blog des Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. vom 23.04.2025: https://haitblog.hypotheses.org/7009.

Beitragsbilder

Bild 1: B. Kaltenhäuser / Technische Sammlungen Dresden / TSD_B_08970.07_31.

Bild 2: Eigene Aufnahme, Depot der Technischen Sammlungen, Dresden, 28.03.2024.

Bild 3: Eigene Aufnahme, Depot der Technischen Sammlungen Dresden, 28.03.2024.

  1. Interview mit Ute (Name geändert), Interviewführung: Leonie v. Wangenheim, Dresden 06.10.2022, 01:56 – 02:04. []
  2. Interview mit Jelena (Name geändert), Interviewführung: Thea Stapelfeld, Interview der Technischen Sammlungen Dresden, Dresden 18.08.2022, 00:01 – 00:30. []
  3. Vgl. Maren Hachmeister/Friederike Kind-Kovács, Biografische ,,Langzeitbelichtung“: Die Liquidation von Pentacon im Umbruch. In: Denken ohne Geländer vom 18.10.2023, (https://haitblog.hypotheses.org/5061; 15.11.2024). []
  4. Vgl. Günther Kadlubek/Wolfgang Beier, Kameras um Dresden herum Beier, Pouva, Welta & Co.,, Stuttgart 2003, S. 153 []
  5. Interview mit Jelena (Name geändert), Interviewführung: Thea Stapelfeld, Dresden 18.08.2022, 00:55–00:56. []
  6. Vgl. Herbert Blumtritt, Geschichte der Dresdner Fotoindustrie, Stuttgart 2000, S. 195–202. []
  7. Vgl. Entscheidungsvorschlag zur Auflösung der Kostenstellen der Bereiche Fertigung und Qualitätssicherung nach Produktionseinstellung vom 17.10.1990 (Sächs. HStA Dresden, 11691/2560, unpag.), S. 1-4. []
  8. Vgl. Gerhard Jehmlich, Der VEB Pentacon Dresden. Geschichte der Dresdner Kamera- und Kinoindustrie nach 1945, Dresden 2009, S. 214. []
  9. Vgl. Verwertungsvorschlag für unvollendete Produktion Pentaka-Geräte vom 20.11.1990 (Sächs. HStA Dresden, 11691/2559). []
  10. Vgl. Jehmlich, Der VEB Pentacon Dresden, S. 214. []
  11. Vgl. Entsorgungskonzeption für den Bereich der HA Zwischenfertigung vom 12.11.1990 (Sächs. HStA Dresden, 11691/2559). []
  12. Entsorgungsvertrag vom 26.08.1991 (Sächs. HStA Dresden, 11691/2559), S. 1 f. []
  13. Interview mit Nevenka (Name geändert), Interviewführung: Thea Stapelfeld, Dresden 08.09.2022, 02:50 – 02:56. []
  14. Vgl. Entsorgung der Betriebsstaetten PENTACON DRESDEN GmbH vom 28.11.1990 (Sächs. HStA Dresden, 11691/2559). []
  15. Vgl. Entsorgungskonzeption für den Bereich der HA Zwischenfertigung vom 12.11.1990 (Sächs. HStA Dresden, 11691/2559), S. 1–8. []
  16. Vgl. Protokoll über die Beratung am 23. November 1990 zur Entsorgung vom 26.11.1990 (Sächs. HStA Dresden, 11691/2559), S. 1 f. []
  17. Vgl. Jehmlich, Der VEB Pentacon Dresden, S. 215 f. []
  18. Vgl. Ebd., S. 216. []
  19. Vgl. Festlegungsprotokoll zur Objektübergabe Objekt 8 vom 15.02.1991 (Sächs. HStA Dresden, 11691/2560, unpag.), S. 1–3. []
  20. Vgl. Blumtritt, Geschichte der Dresdner Fotoindustrie, S. 204. []
  21. Interview mit Maria (Name geändert), Interviewführung: Leonie v. Wangenheim, Dresden 06.10.2022, 10:52–11:04. []
  22. Vgl. Vera Beyer, Persönliche Kommunikation, Dresden 28.03.2024. []
  23. Bis zum bitteren Ende, Technische Sammlungen Dresden, URL: https://tsd.de/programm/ausstellungen/bis-zum-bitteren-ende (13.03.2025). []
  24. Interview mit Maria (Name geändert), Interviewführung: Leonie v. Wangenheim, Dresden 06.10.2022, 01:47 – 01:55. []
  25. Vgl. o. V., Bis zum bitteren Ende – Erinnerungen an PENTACON. In: lfm2, o. D. (URL: http://www.lfm2.de/ende/;15.11.2024). []
  26. Vera Beyer, Persönliche Kommunikation, Dresden 28.03.2024. []
  27. Gisbert Porstmann/Erika Eschebach/Christina Ludwig/Roland Schwarz/Christine Mennicke-Schwarz/Bernd Heise/Ilka Hoffmann/Sylka Löwe/Richard Stratenschulte/Silke Gabriel/Robert Mund/Linda Karohl-Kistmacher, Museen der Stadt Dresden – Entwicklungsplan. In Dresden.de, von 2020 (https://www.dresden.de/media/pdf/kulturamt/Museumsentwicklungsplan_MEP_2020.pdf;15.11.2024), S. 21–24. []
  28. Vera Beyer, Persönliche Kommunikation, Dresden 28.03.2024. []

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haitblog (23. April 2025). Alles zum Fenster rausgeschmissen? Die Überbleibsel des VEB Pentacon Dresden. Denken ohne Geländer. Abgerufen am 20. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13sle


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