„Freundschaft siegt!“: Die internationale Jugendpolitik des VEB Pentacon in den 1970er-Jahren
Autorin: Marie Führer
Die Reihe „‘Blende zu bei Pentacon‘: Alltag und Wende beim VEB Pentacon“ ist das Ergebnis eines geschichtswissenschaftlichen Seminars an der TU Dresden und einer Kooperation zwischen dem HAIT und den Technischen Sammlungen Dresden zur Geschichte des Dresdener Kameraproduzenten VEB Pentacon. In kurzen, experimentellen Forschungsarbeiten widmen sich Studierende und WissenschaftlerInnen der Untersuchung von Alltagserfahrungen im Betrieb vor 1989 sowie den multiplen Folgen der Betriebsabwicklung. Im folgenden Beitrag befasst sich Marie Führer mit der Jugendpolitik des VEB Pentacon am Beispiel des Deutsch-Sowjetischen Jugendfestivals 1970 und der X. Weltfestspiele 1973.

VEB-Pentacon: Produktion national – Freundschaft international?
„Druschba – Freundschaft!“ Mit diesen Worten begrüßten Vertreter der Betriebsjugend des ehemaligen Dresdner Kameraherstellers Volkseigener Betrieb (VEB) Pentacon eine Delegation des sowjetischen Komsomol bei einem Empfang im Kulturhaus des Sachsenwerks Niedersedlitz im Rahmen des deutsch-sowjetischen Jugendfestivals in Dresden im Jahr 1970.1 Unter diesem Motto stand auch der Eröffnungsappell des sogenannten „Festivals der Freundschaft“ im Rudolf-Harbig-Stadion, an dem tausende deutsche FDJ- und Komsomol-Mitglieder teilnahmen.2 Die Jugendredaktion des „Brennpunkt“, der Betriebszeitung des VEB Pentacon, beschrieb am 13. Oktober 1970 begeistert, wie Walter Ulbricht damals in seiner Rede das Deutsch-Sowjetische Jugendfestival „als ein Symbol der festen, unzerstörbaren Verbundenheit der Jugend der Sowjetunion und der DDR“3 wertete. Das Festival diente dazu, die Loyalität der DDR und auch der einzelnen Betriebe gegenüber der Sowjetunion zu manifestieren. Folglich beteiligte sich auch Pentacon als volkseigener Betrieb mit seiner Jugend aktiv an diesem Festival.
Das Jugendfestival war eine von vielen Veranstaltungen, an denen die Betriebsjugend von Pentacon aktiv beteiligt war. Der VEB Pentacon sah – ähnlich wie die meisten sozialistischen Betriebe – im Nachwuchs ein Mittel der betrieblichen Zukunftssicherung. Die Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt war entscheidend für Stabilität und Entwicklung der Betriebe. Angesichts des Arbeitskräftebedarfs dienten Rekrutierung und Ausbildung junger Leute dazu, diesen Bedarf zu decken. Die Jugendpolitik des Betriebs verfolgte nicht nur das Ziel, junge Menschen nur als Arbeitskräfte zu rekrutieren und auszubilden, sondern auch, diese zu aktiven Gestalter/-innen einer sozialistischen Gesellschaft zu erziehen. Der VEB Pentacon legte großen Wert auf die Kombination von Bildung und Beruf für die Ausbildung seines Nachwuchses. In seiner Betriebszeitung waren in den Jahren 1970 bis 1980 viele Doppelseiten und Artikel der Jugend des Betriebs gewidmet – beispielsweise in Form von Musik-Tipps, Anzeigen für Klubhaus- oder Diskoabende, das nächste Sommerlager oder andere Kulturveranstaltungen. Idealvorstellungen der sozialistischen Jugend waren unter anderem stark an Ideen und Praktiken der internationalen Vernetzung, der Solidarität und der Völkerfreundschaft gekoppelt. Internationale Begegnungen, Festivals und Sommerlager dienten dazu, die Jugend des Betriebs mit Jugendlichen aus den sozialistischen Nachbarländern in Kontakt zu bringen. Auch der VEB Pentacon bemühte sich um die internationale Vernetzung seiner Jugend.
Von dieser Beobachtung ausgehend soll dieser Beitrag Jugendvorstellungen und ihre Umsetzung anhand zweier herausragender Ereignisse illustrieren: dem Deutsch-Sowjetischen Jugendfestival von 1970 in Dresden und den X. Weltfestspielen von 1973 in Ost-Berlin. Diese Großveranstaltungen waren nicht nur Schauplatz des kulturellen Austauschs und der Pflege internationaler Beziehungen, sondern auch Plattform für die Inszenierung des staatssozialistischen Systems und seiner zugrundeliegenden Ideologie. Anhand dieser beiden Kulturveranstaltungen soll deutlich werden, wie stark die Jugend als Botschafter sozialistischer Werte von Betrieben in der DDR instrumentalisiert wurde.
Das Deutsch-Sowjetische Jugendfestival (Dresden 1970)
Die Betriebszeitschrift dokumentierte das Deutsch-Sowjetische Jugendfestival von 1970 und die X. Weltfestspiele 1973 umfassend und detailliert. Beide Veranstaltungen betonten die internationale Solidarität und Vernetzung und spielten eine bedeutende kulturelle sowie repräsentative Rolle für die DDR. Sie dienten der politischen Selbstdarstellung und inszenierten bewusst Themen wie Friedenssicherung und Völkerfreundschaft, um die Stärke des sozialistischen Systems zu demonstrieren. Pentacon und die Bezirkshauptstadt Dresden nutzten die Vorbereitung auf das Festival dazu, den industriellen und internationalen Fortschritt der DDR zu propagieren. Ein Beispiel für die ideologische Vorbereitung war der „Tag der Bereitschaft“ am 13. September 1970, bei dem Jugendliche an einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus teilnahmen. Frieda Landgraf, eine Kommunistin und KZ-Überlebende, hielt eine Rede, die die Jugendlichen motivieren sollte, das Erbe der kommunistischen Widerstandskämpfer zu bewahren. Die Jugendredaktion des „Brennpunkts“ verglich die Verbundenheit der deutschen und sowjetischen Jugend mit dem einstigen Zusammenhalt unter den Opfern des Nationalsozialismus. Damit sollte eine emotionale Beziehung zwischen den verschiedenen Generationen hergestellt werden, um die Jugend zur Verteidigung der sozialistischen Ideale zu ermutigen. Außerdem sollten sie sich als moralische Erben des antifaschistischen Kampfes positionieren, um den Zusammenhalt und die Freundschaft zur Sowjetunion zu festigen. Mahnende Sätze wie „Alle hatten wir geschworen, das Vermächtnis der ermordeten Genossen zu erfüllen und die Freundschaft mit den Völkern der Sowjetunion zu unserer Herzenssache zu machen. Die würdige Vorbereitung und Durchführung des Deutsch-Sowjetischen Jugendfestivals ist der beste Beitrag zur Erfüllung unseres Gelöbnisses“4 sollten an die Moral der jungen Leute appellieren, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, zu gedenken und aufgeklärte Staatsbürger/-innen zu sein.
Das Deutsch-Sowjetische Jugendfestival fand vom 3. bis 7. Oktober 1970 in Dresden statt und wurde von zehntausenden Teilnehmer/-innen aus der DDR und der Sowjetunion besucht. Sportwettkämpfe, politische Diskussionen, aber auch kulturelle Darbietungen wie Theater- und Musikaufführungen sorgten für Unterhaltung. Das Jugendfestival wurde von beiden Regierungen als Erfolg gefeiert. Diese politische Inszenierung sollte der eigenen Bevölkerung wie auch dem internationalen Publikum die Botschaft der Überlegenheit des sozialistischen Systems übermitteln. Unter der Überschrift „Manifestation der Freundschaft“5 fanden sich zahlreiche Formulierungen, die patriotisch konnotiert und gezielt an die junge Generation gerichtet waren. Artikel wie diese sollten die Leser/-innen insofern beeinflussen, als dass sie eine starke Betonung auf das Gemeinschaftsgefühl legten. Substantive wie „Bruderländer“ und „Freundschaft“, aber auch emotional aufgeladene Reden spielten mit dem Gefühl des Zusammenhalts. (Ebd.) Wie sehr dieses Denken in den Köpfen der damaligen Jugend verankert war, lässt sich daran ablesen, dass diese Artikel nicht etwa von den leitenden Redakteuren der Betriebszeitschrift verfasst wurden, sondern von der Jugendredaktion Pentacons, also von Jugendlichen für Jugendliche. Dies sollte einen Zuwachs an jungen Leser/-innen schaffen, gerade weil diese Berichte eben von vermeintlich „Gleichgesinnten“ geschrieben waren. Diese Jugendredaktion konnte ihre Inhalte jedoch nur im Rahmen der staatlichen Vorgaben und ideologischen Einschränkungen gestalten, was die erwünschte Subjektivität und Authentizität der Berichte relativiert. „Der Brennpunkt“ ist demzufolge ein gutes Beispiel für eine sozialistische Betriebszeitschrift, in der die staatliche Ideologie zwischen den Zeilen das politische Denken wie auch die Freizeitgestaltung junger Menschen prägen sollte. Pentacon beteiligte sich nicht nur ideell an den Festlichkeiten. Der Betrieb leistete auch einen entscheidenden Beitrag zum Deutsch-Sowjetischen Jugendfestival, indem ein junges Team zusammengestellt wurde, das das Event mit Kameras begleitete, um die Stadt Dresden täglich mit aktuellem Bildmaterial zu versorgen. Junge Werktätige des VEB Pentacon wurden also auf diesen „Bilderdienst“ vorbereitet und dann als Fotografen mit modernen Spiegelreflexkameras losgeschickt, um die Festlichkeiten visuell zu dokumentieren und die Bilder am darauffolgenden Tag per Bauchladen an die Dresdner Öffentlichkeit zu verkaufen.6 Die Teilnahme an diesem Festival diente als Instrument der sozialistischen Erziehung und Sozialisation und wurde zur Stärkung der deutsch-sowjetischen Freundschaft in Anspruch genommen.
Die X. Weltfestspiele (Ost-Berlin 1973)
Das zweite große Ereignis waren die X. Weltfestspiele im Sommer 1973 in Ost-Berlin. Diese Feierlichkeiten waren ein internationales Treffen von Jugendlichen und Studierenden aus verschiedenen Ländern, organisiert vom Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ). Über 25.000 Gäste aus 140 Ländern nahmen teil und das Event zog insgesamt acht Millionen Menschen an. Ziel war es, wie auch schon beim Deutsch-Sowjetischen Jugendfestival 1970 in Dresden, die Solidarität unter sozialistischen jungen Menschen weltweit zu stärken und den Austausch von Ideen, Kulturen und Erfahrungen zu fördern. Zudem war es ein Forum politischer Diskussionen zu Themen wie Anti-Imperialismus und sozialer Gerechtigkeit. Die X. Weltfestspiele wurden auch als „Woodstock des Ostens“ bezeichnet, da sie Elemente des berühmten Woodstock-Festivals von 1969 aufnahmen. Dieser Vergleich hinkt jedoch insofern, als das Woodstock- Festival im US-Bundesstaat New York für seine Freiheit und unkontrollierte Natur bekannt war, anders als die von der Staatspartei SED stark kontrollierten und klaren, politischen Zwecken dienenden Weltfestspiele. Die Auswirkungen des „Kahlschlag-Plenums” von 1965, das die Jugend- und Kulturpolitik stark einschränkte, sowie das massive Polizeiaufgebot während der Festspiele zeigen, dass die Veranstaltung bewusst darauf eingestellt worden war, jede Form von „unkontrollierter“ Jugendkultur zu verhindern. Rock- und Beatmusik spielten eine zentrale Rolle, obwohl diese Musikrichtungen in der DDR zuvor als westlich und imperialistisch abgelehnt worden waren. Die Lockerung gegenüber dieser Musikrichtung unter Erich Honecker spiegelte den Versuch der SED-Führung, das Bild einer sich zur Welt öffnenden Gesellschaft zu vermitteln, um sich sowohl national als auch international zu positionieren. Diese neue Hoffnung verbreiteten nun die X. Weltfestspiele, jedoch unter strikter Kontrolle der Staatssicherheit. Politische Inszenierungen und Reden priesen den Sozialismus und verdammten den Kapitalismus. Rote Flaggen und die Präsenz internationaler Delegationen sollten das Bild einer gastfreundlichen und solidarischen DDR vermitteln.
Der VEB Pentacon zeigte auch für die Teilnahme an den Weltfestspielen in Ost-Berlin große Begeisterung. „Der Brennpunkt“ berichtete umfassend über die aktive Beteiligung an den Vorbereitungen und rief zur Mitarbeit auf, um den volkseigenen Betrieb und den Staat im besten Licht zu zeigen. Der Druck auf die Betriebsjugend war groß, was sich auch an den Artikeln rund um das Festival ablesen lässt. Immer wieder wurde an die jungen Leute appelliert, sich aktiv bei der Planung der Weltfestspiele einzubringen. Das Wort „Wettbewerb“ fand häufig Gebrauch und verband sich mit dem Bild einer „Stätte fruchtbaren und freundschaftlichen Streites“, um die Jugendlichen zu motivieren. „Wir erleben tagtäglich, wie die DDR von immer weiteren Staaten anerkannt wird, und da ist es doch für uns FDJler besonders wichtig, gerade diesen Jugendlichen den Aufbau unseres Landes zu zeigen und wie wir jungen Leute dabei mitwirken“, schrieb Rita Träger, Mitglied der Zentralen Organisationsleitung der FDJ in einem Artikel zu den X. Weltfestspielen.7 Am 30. Juli 1973 wurde eine Delegation junger Festivalteilnehmer/-innen aus dem Ausland bei Pentacon willkommen geheißen und durch die Räumlichkeiten des Betriebs geführt. Auf diesem sogenannten Freundschaftstreffen ging es vorrangig um die Jugendpolitik der DDR, die Arbeitsbedingungen und die Motivation der jungen Menschen bei Pentacon. So hieß es, „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ sei ein sozialistischer Standard, von dem kapitalistische Länder nur träumen könnten. Der „Brennpunkt“ schwärmte: „Genosse Koppatsch stellte kurz unser Kombinat vor. Insbesondere ging er auf die Rolle der Jugend in unserem Kombinat ein. Dabei kam ganz klar zum Ausdruck, welche wichtigen Aufgaben wir Jugendlichen übertragen bekommen und mit welcher hohen Verantwortung wir diese erfüllen.“8 Ähnlich dem Jugendfestival diente auch die Teilnahme an den Weltfestspielen dazu, die Betriebsjugend an das sozialistische Regime zu binden und Zusammenhalt zu schaffen.
Fazit
Anhand dieser kurzen Einblicke in zwei internationale Jugendveranstaltungen in den 1970er-Jahren in der DDR lässt sich abschließend festhalten, was für eine zentrale Rolle der Betriebsjugend bei der Umsetzung politischer Ziele des Betriebs – aber auch der DDR allgemein –zukam. Die Betriebsjugend war von zentraler strategischer, ideologischer und ökonomischer Bedeutung. Ihr Engagement sollte insbesondere die Produktion fördern, technologischen Fortschritt vorantreiben und das Bild eines dynamischen, zukunftsorientierten sozialistischen Staates vermitteln. Dies war besonders im internationalen Kontext wichtig, um das Prestige der DDR zu stärken. Ereignisse wie das Deutsch-Sowjetische Jugendfestival 1970 und die X. Weltfestspiele 1973 dienten dazu, die Bedeutung dieser Werte und die Stärke des sozialistischen Systems nach innen und außen sichtbar zu demonstrieren. Gleichzeitig diente die Teilnahme an solchen Großveranstaltungen dazu, die Betriebsjugend an die Betriebe zu binden und ihr das Gefühl zu vermitteln, Teil einer bedeutenden internationalen Jugendbewegung zu sein. Im Geiste des Sozialismus, der Freundschaft und des Internationalismus sollte die Loyalität der Jugend zum Betrieb, zur DDR und zur Sowjetunion gestärkt werden.
Über die Autorin:
Marie Führer studiert u.a. Geschichte an der TU Dresden und besuchte im Rahmen ihres Studiums das Seminar „Vom Archiv ins Museum: Alltag und ‚Wende‘ bei Pentacon“.
Zitiervorschlag: Marie Führer, „„Freundschaft siegt!“: Die internationale Jugendpolitik des VEB Pentacon in den 1970er-Jahren”. In: Denken ohne Geländer. Der Blog des Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. vom 05.11.2025: https://haitblog.hypotheses.org/7481.
Beitragsbilder
Bild 1: Gundula Balitzki (Deutsche Fotothek)
- Vgl. Die Jugendredaktion, „Manifestation der Freundschaft“. In: Der Brennpunkt, 38 (70), 13. Oktober 1970, S. 4 f. [↩]
- Vgl. Die Jugendredaktion, „Manifestation der Freundschaft“, S. 4 f.; „Freundschaft siegt! In: Der Brennpunkt, 29. September 1970. [↩]
- Die Jugendredaktion, „Manifestation der Freundschaft“, S. 4 f. [↩]
- Die Jugendredaktion, „Mit diesem Schwung zum Festival,“ In: Der Brennpunkt 22 (35) Sept. 1970, S. 4. [↩]
- Die Jugendredaktion „Manifestation der Freundschaft“, S. 4 f. [↩]
- Vgl. „Ein Knüller von Pentacon“, Der Brennpunkt 36 (70), 29. September, S.4 f. [↩]
- Rita Träger, Noch 186 Tage bis zu den X. Weltfestspielen in Berlin. In: Der Brennpunkt, 22. Jan. 1973, Heft 3, S. 2. [↩]
- Jugendredaktion, Frieden-Freundschaft- Solidarität- Herzlicher Empfang für ausländische Festivalteilnehmer. In: Der Brennpunkt, 20. Aug. 1973, Heft 31, S. 4 f. [↩]
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haitblog (5. November 2025). „Freundschaft siegt!“: Die internationale Jugendpolitik des VEB Pentacon in den 1970er-Jahren. Denken ohne Geländer. Abgerufen am 14. November 2025 von https://doi.org/10.58079/153fs

